Stigmatisierung des hl. Franziskus von Assisi
Der hl. Franziskus sagte über die Einsiedelei auf dem Berg La Verna zu Bruder Masseo: "...es ist mein Wunsch, dass an diesem Ort gottesfürchtige Brüder weilen von den besten meines Ordens."
Panoramabilder vom La Verna finden Sie hier.
1224 hatte Franziskus in der Einsiedelei auf dem Berg La Verna - wie er es gewohnt war - die 40 tägige Fastenzeit zu Ehren des hl. Erzengels Michaels begonnen.
(Bild: Giotto - G. Ruf / www.assisi.de) |
Thomas von Celano schreibt: Zwei Jahre bevor Franziskus seine Seele dem Himmel zurückgab, weilte er in einer Einsiedelei, die nach dem Ort, wo sie gelegen ist, Alverna heißt. Da sah er in einem Gottgesicht einen Mann über sich schweben, einem Seraph ähnlich, der sechs Flügel hatte und mit ausgespannten Händen und aneinandergelegten Füßen ans Kreuz geheftet war. Zwei Flügel erhoben sich über seinem Haupt, zwei waren zum Fluge ausgespannt, zwei endlich verhüllten den ganzen Körper. Als der selige Diener des Allerhöchsten dies schaute, wurde er von übergroßem Staunen erfüllt, konnte sich aber nicht erklären, was dies Gesicht bedeuten solle. Große Wonne durchdrang ihn, und noch tiefere Freude erfaßte ihn über den gütigen und gnadenvollen Blick, mit dem er sich vom Seraph betrachtet sah, dessen Schönheit unbeschreiblich war; doch sein Hangen am Kreuz und die Bitterkeit seines Leidens erfüllte ihn ganz mit Entsetzen. Und so erhob er sich, sozusagen traurig und freudig zugleich, und Wonne und Betrübnis wechselten in ihm miteinander. Er dachte voll Unruhe nach, was dieses Gesicht wohl bedeute, und um seinen innersten Sinn zu erfassen, ängstigte sich sein Geist gar sehr.
Franziskus, der die Traurigkeit mehr denn je kannte, der im Leiden die Nähe der Schmerzen Christi tief erblickte und dabei eine tiefe Freude empfand, brach im Frühjahr 1224 als kranker Mann ein weiteres Mal auf, um für einige Zeit auf dem Berg Alverna mit Gott allein zu sein. Begleitet wurde er bei dieser Wanderung und Einkehr neben anderen von Bruder Leo.
(Bild: hl. Franziskus empfängt die Wundmale von Piero Casentini) |
Während er sich verstandesmäßig über das Gesicht nicht klar zu werden vermochte und das Neuartige an ihm stark sein Herz beschäftigte, begannen an seinen Händen und Füßen die Male der Nägel sichtbar zu werden in derselben Weise, wie er es kurz zuvor an dem gekreuzigten Mann über sich gesehen hatte. Seine Füße und Hände schienen in der Mitte mit Nägeln durchbohrt, wobei die Köpfe der Nägel an den Händen auf der inneren und an den Füßen auf der oberen Fläche erschienen, während ihre Spitzen sich an der Gegenseite zeigten. Die Male waren nämlich an der Innenseite der Hände rund, an der Außenseite aber länglich. Und es kam ein Stück Fleisch zum Vorschein, das über das andere Fleisch hinausragte, gleich als ob die Spitze der Nägel umgebogen und ungeschlagen sei. In derselben Weise, über das andere Fleisch hinausstehend, waren auch an den Füßen die Male. Ferner war die Seite wie mit einer Lanze durchbohrt und zeigte eine vernarbte Wunde, aus der häufig Blut floß, so daß sein Habit und seine Hose oftmals mit heiligem Blut getränkt wurden. (I Cel 94 und 95)
Nach diesem Ereignis hüllte sich der Heilige in vollkommenes Schweigen über das ihm Widerfahrene und verlangte dieses auch von denjenigen, die seine Wundmale zu Gesicht bekamen. Ohnehin handelte es sich hierbei nur um einige wenige Brüder. Neben Rufino und Elias auch Bruder Leo, der in den letzten Jahren des Franziskus einer der liebsten Gefährten und Freund des Heiligen war, er war für Franziskus das "Lämmlein Gottes".
Bruder Leo
Neben dem in Assisi aufbewahrten "Schriftstück für Bruder Leo" (Lob Gott und Segen Leo) ist der unten aufgeführte Brief das einzig erhaltene Autograph des Heiligen. Es ist auf einem kleinen Stück Pergament geschrieben und wird im Domschatz zu Spoleto aufbewahrt. Franziskus spricht hier kurz das Grundanliegen seines Lebens aus und empfiehlt es nachdrücklich dem Bruder Leo.
"Bruder Leo, dein Bruder Franziskus wünscht dir Heil und Frieden So sage ich dir, mein Sohn, wie eine Mutter, weil ich alle Worte, die wir auf dem Wege gesprochen haben, kurz in diesem Wort unterbringe und rate - und wenn es dir nachher nottut, um einen Rat zu mir zu kommen - so also rate ich dir: Auf welche Weise auch immer es dir besser erscheint, Gott, dem Herrn, zu gefallen und seinen Fußspuren und seiner Armut zu folgen, so tu es mit dem Segen Gottes, des Herrn, und mit dem Gehorsam gegen mich. Und wenn es dir notwendig ist, um deiner Seele oder deines sonstigen Trostes willen zu mir zu kommen, und wenn du zu mir kommen willst, Leo, so komm."
Dieser Bruder liebte seinen Lehrer mit einer Hingabe, einer Achtung, einem Wahrheitssinn und gleichzeitig mit einer Entschlossenheit, die er auch in den späteren Jahren des Ordens, als die Schwierigkeiten und Auseinander-setzungen zwischen den einzelnen Richtungen immer größer wurden, aufrechtzuerhalten wußte. Franziskus erwiderte diese Liebe und tiefe Zuneigung nicht minder. Er schränkte zwar, sicherlich auch durch die Krankheiten gezwungen, seine Beziehungen zu seinen Mitmenschen ein, gestaltete dafür aber die Beziehung zu seinen liebsten Brüdern und anderen Mitmenschen, die ihm lieb waren, intensiver und wirkungsvoller.
Bruder Leo verbrachte einige Tage mit Franziskus in der Einsiedelei auf dem Berg La Verna und wurde von einer Versuchung gequält. Er hatte nicht den Mut, sich Franziskus anzuvertrauen, obwohl dieser der Rolle eines gutmütigen Vaters nah kam und sich liebevoll um ihn kümmerte. Als der Heilige sich auf dem Berg Alverna aufhielt, in eine Zelle eingeschlossen, wünschte einer seiner Gefährten (Bruder Leo) mit sehnlichem Verlangen eine aufmunternde Stelle von den Worten des Herrn, durch die Hand des heiligen Franziskus kurz aufgeschrieben, zu bekommen. Er glaubte nämlich, dadurch eine schwere, quälende Versuchung - nicht des Fleisches, sondern des Geistes - loszuwerden oder doch sie leichter tragen zu können. Von solcher Sehnsucht krank, scheute er sich doch, seinen Wunsch dem heiligen Vater zu eröffnen. Aber was ein Mensch ihm nicht sagte, das enthüllte ihm der Geist. (II Cel 49)
Denn eines Tages rief der selige Franziskus den Bruder zu sich und sprach zu ihm: "Bring mir ein Blatt und Tinte, denn ich will die Worte des Herrn und seinen Lobpreis niederschreiben, die ich in meinem Herzen erwogen habe". Sofort brachte ihm der Bruder, um was er gebeten, und Franziskus schrieb mit eigener Hand "den Lobpreis Gottes und die Worte, die er wollte, und am Ende einen Segen für den Bruder. Dann sprach er: "Nimm dieses Blatt an dich und bewahre es sorgfältig auf bis zum Tage deines Todes!" Da floh sogleich jede Spur jener Versuchung.
Leo gehorchte treu. Eine Seite dieses vierfach gefalteten Pergaments zeigt, daß der Gefährte es wirklich bis zum Lebensende "auf dem Leibe trug", denn die Schrift ist dort durch die Reibung an der Kutte verblaßt. Es war die zweite Septemberhälfte des Jahres 1224, dementsprechend nicht lange nach Franziskus' Stigmation. Es wird heute in Sacro Convento zu Assisi aufbewahrt. Auf der Vorderseite befindet sich der Lobpreis Gottes (LobGott), auf der Rückseite steht der Segen für Bruder Leo. Er entspricht bis auf die letzte Zeile fast genau der alttestamentlichen Segensformel aus Num 6,24-26, mit der Aaron die Israeliten segnen sollte.
(Foto: privat) |
Der erschöpfte Franziskus lässt sich auf dem Alverna von einem Falken zum nächtlichen Offizium wecken. |
Literaturnachweis:
(Cel: Thomas von Celano, Erste Lebensbeschreibung von Franziskus aus: Franziskus-Quellen, hg. von D. Berg – L. Lehmann, Kevelaer 2009, © Edition Coelde Butzon & Bercker)
(Foto: privat) Ort der Stigmatisierung des hl. Franziskus |
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Gebet von Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch auf dem La Verna vom 17.9.1993 in der Stigmatakapelle
Heiliger Franziskus, auf dem La Verna mit den Wunden Gezeichneter,
die Welt hat Sehnsucht nach dir, als dem Bild Jesu, des Gekreuzigten.
Sie braucht dein Herz,
offen für Gott und offen für die Menschen,
sie braucht deine nackten und verwundeten Füße,
sie braucht deine durchbohrten, betenden Hände.
Sie hat Sehnsucht nach deiner zarten,
aber eindringlichen Stimme, mächtig durch das Evangelium.
Hilf, Franziskus, den Menschen von heute,
das Böse der Sünde zu erkennen
und die Reinigung in der Buße zu suchen.
Hilf ihnen, sich in gleicher Weise von den Strukturen der Sünde zu lösen,
welche die heutige Gesellschaft niederdrücken.
Erwecke in den Gewissen der Regierenden
die Dringlichkeit des Friedens zwischen Nationen und Völkern.
Verströme in die Herzen der Jugendlichen die Frische des Lebens,
die Nachstellungen der vielfältigen Kulturen des Todes zu widerstehen weiß.
Teile, Franziskus, mit den durch alle Art von Bosheit Verletzten
die Freude, verzeihen zu können.
Allen vom Leid, vom Hunger und vom Krieg Gekreuzigten
öffne wieder die Pforten der Hoffnung. Amen.